Die wachsende Bevölkerung von Lichtensteig führte zu beengten Verhältnissen und Schwierigkeiten beim paritätischen Gebrauch der alten Kirche von Lichtensteig. Zwar waren die beiden Konfessionen im Jahr 1938 noch einmal übereingekommen, die Kirche für weitere 30 Jahre gemeinsam zu nutzen, doch gründeten die Katholiken in den Jahren 1935-1936 einen Kirchenbaufonds durch drei Schenkungen und Messstipendien, um sich für den Bau einer eigenen Kirche vorzubereiten.
Die bisher paritätisch genutzte Kirche war in den Jahren 1866-1868 neu aufgebaut worden. Ihr neugotischer Stil wurde im 20. Jahrhundert als wenig überzeugend erachtet und die Bausubstanz legte den Neubau des Gotteshauses nahe. Am 15. März 1965 fällten die Katholiken den Entscheid für den Neubau. Aufgrund eines Projektwettbewerbes, verlieh die Jury am 12. Mai 1966 dem Entwurf von Walter M. Förderer mit dem Titel Campagne den ersten Preis. Am 22. April 1968 wurde mit dem Abbruch der alten Kirche begonnen. Am 23. Mai 1968 erfolgte der erste Spatenstich und am 18. Oktober 1970 vollzog der Bischof von St. Gallen, Josephus Hasler, die Weihe der Kirche.
Entstehungsprozess und Charakteristik
Bei der Gestaltung seiner Sakralbauten hielt sich Walter M. Förderer an eine räumlich-plastische Vorgehensweise, die seine ursprüngliche Ausbildung als Bildhauer widerspiegelt: Seine Eindrücke von der Landschaft und den umgebenden Bauten liess er in die Entwicklung des Raumprogramms und in das Aussehen seiner Kirche einfliessen. Nach ersten Skizzen mit Kohle auf Zeichnungspapier entwickelte Förderer seine Ideen für den Bau an kleineren und grösseren Modellen weiter. Diese fotografierte er von verschiedenen Seiten und brachte auf den Fotos Korrekturen an, nach denen er das Baumodell weiterentwickelte. Bis zum Erstellen der Betonschalungen durch die Bauarbeiter vor Ort modifizierte Förderer seine Ideen stets weiter, ohne das Grundkonzept seines Entwurfs zu verändern. So entstanden keine Zweckbauten, sondern "die grossmassstäbliche Umsetzung einer begeh- und erlebbaren Plastik, die sich mit der geforderten Funktion zu einem neuen Ganzen verbindet."
Architekt Walter M. Förderer charakterisierte seine Sakralbauten wie folgt: "Meine Bauten sind von der Topographie, von Eigenheiten des Geländes, von der Einstellung des Auftraggebers mitbestimmt... Mein Bau sollte nach allen Seiten wirken, zu einer Gesamtgestalt beitragen." Wichtiger als die Funktionalität des Kirchenbaus war für ihn die Umsetzung seiner plastischen Vorstellungen. Ein Hauptmerkmal seiner Kirchbauten ist die konsequente Verwendung von Beton auf Kosten anderer Baumaterialien wie Marmor oder Edelhölzer, die bei Sakralbauten anderer Architekten benutzt wurden.
Äusseres
Ein steiler Weg führt vom historischen Städtchen auf den Kirchhügel. Förderer schuf die Fassade und die Dachabschnitte des Gebäudes samt Turm in Analogie zur hügeligen Umgebung, indem er diese vielfältig abwinkelte. Die Kirche ist als aufgeschichtete, kubische Architektur gestaltet, die sich vom weiten Gefässkranz des Umgangs bis zur Spitze des Turms zusammenzieht. Die Aussenwände sind verputzt, die Dachumrandun-gen und die Fundamente sowie der Kirchturm wurden dagegen aus Sichtbeton gestaltet. Bekrönt wird der Turm durch ein für Förderer-Kirchen typisch gestaltetes Kreuz, das als gut sichtbare Betonplastik auf die kirchliche Verwendung des Baus verweist.
Innenraum
Walter M. Förderer legte den Dimensionen des Kirchenraums zwei Parameter zugrunde: Die Nutzungsansprüche bestimmen die Grösse der Grundfläche, die Umgebung der Kirche bedingte die Höhe des Baus sowie die Gliederung und Gestaltung des Baukörpers. Eine Besonderheit der Kirche St. Gallus, Lichtensteig unter den 10 Förderer-Kirchen ist die Verwendung von viel Holz und das teilweise Verputzen der ansonst für den Architekten Förderer typischen Sichtbetonflächen. Dadurch wird das Innere der Kirche St. Gallus von der zum Chor hin ansteigenden Holzdecke bestimmt. Von der Decke schwebt über dem Altar ein hängender Mittelpfeiler hinab. Auf diesen laufen Dachbalken radial zu, welche selber wiederum die Bedeutung des Altares für den gesamten Kirchenraum betonen. Der Altarbereich wurde von Förderer, der selber ausgebildeter Bildhauer war, als skulpturales Ensemble gestaltet. Die herausragende Stellung Altar und Ambo wird durch den Umstand betont, dass diese auf einem Holzpodest stehen. Um die liturgische Zone legte Förderer drei bis vier Sektoren Bänke, die auf den Altar gerichtet sind. Der Grundriss der Kirche ist polygonal, eine Trennung von Altarbezirk und Hauptraum besteht nicht, was den nachvatikanischen Charakter der Kirche unterstreicht.
Orgel und Geläut
Beim Bau der neugotischen Kirche im Jahr 1868 errichtete Eberhard Friedrich Walcker, Ludwigsburg, eine Orgel mit 16 Registern auf 2 Manualen und Pedal. 1902 wurde diese Orgel durch ein pneumatisches Instrument von Carl Theodor Kuhn, Männedorf, mit 19 Registern auf 2 Manualen und Pedal abgelöst, wobei das Gehäuse sowie Pfeifenmaterial aus der Walcker-Orgel wiederverwendet wurden. 1941 erfolgte der Bau einer Orgel mit elektrischen Trakturen wieder durch die Firma Kuhn. Dieses Instrument besass 30 Register auf drei Manualen und Pedal. Als die heutige katholische Kirche die alte, paritätische Kirche auf dem Hügel oberhalb Lichtensteigs ersetzt hatte, wurde die Orgel von 1941 in die katholische Kirche versetzt. 1990 erfolgte eine Revision, bei der einige Umbauten vorgenommen wurden. Seither zählt das Instrument u. a. 33 klingende Register.
Wie in allen Förderer-Kirchen befindet sich die Orgel samt Sängerbereich in der Nähe des Altarbezirks. Die mit Holz verkleidete Brüstung grenzt den leicht erhöhten Orgel-und Sängerbereich vom übrigen Kirchenraum ab. Der Orgelprospekt ist in die Rückwand eingelassen, welche sich vom Kirchenraum als Nische absetzt.
Die Kirche St. Gallus besitzt ein sechsstimmiges Geläute, das sowohl auf die Glocken der evangelischen Kirche von Lichtensteig als auch auf die beiden nahe gelegenen Geläute der Reformierten Kirche von Wattwil und der katholischen Kirche St.Felix und Regula, Wattwil abgestimmt ist. Die 6 Glocken haben ein Gesamtgewicht von 11,5 to und erklingen in der Tonfolge Gis° - H° - Dis' - Fis' - Gis' - H'. Gegossen wurden sie durch die Glockengiesserei Eschmann in Rickenbach bei Wil/SG.
Fotos: Robert Bolli, 30. Juni 2020
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Robert S. Bolli am 03.07.2020 Die Reihe mit Beiträgen über Bauten von Walter M. Förderer - im Speziellen sein Wirken in Schaffhausen - wird zu gegebener Zeit fortgesetzt.
Melody
Diese romantische Geschichte über eine in England "Welpenliebe" (engl. Puppy-love) genannte, jugendliche Schwärmerei, wird aus der Sicht der Kinder erzählt, wobei die Erwachsenen nur Nebenrollen spielen. Daniel Latimer (dargestellt von Mark Lester) freundet sich mit dem lästigen Tom Ornshaw (Jack Wild) an. Als Daniel sich jedoch in Melody Perkins (Tracy Hyde) verliebt, wird die Freundschaft der Jungen gefährdet, denn Ornshaw wird eifersüchtig und fühlt sich ausgeschlossen, da Daniel nur mehr Zeit für das Mädchen hat. Anfangs verlegen über so viel Aufmerksamkeit, die ihr der Junge schenkt, erwidert Melody Daniels Gefühle, und das Paar verkündet seinen Eltern, dass sie heiraten wollen. Nicht irgendwann in der Zukunft, sondern jetzt! Die Erwachsenen versuchen mit allen Mitteln, sie davon abzubringen, aber die Entschlossenheit der beiden Kinder führt bei Ornshaw zu einem Sinneswandel. Ihre Klassenkameraden versammeln sich in einem der Verstecke der Kinder, um das Paar zu "verheiraten", wobei ihre Entdeckung zu einem letzten Showdown zwischen Kindern und Lehrern führt.
Der Anfang des Films folgt grösstenteils der aufkeimenden Freundschaft zwischen dem stillen, bodenständigen Daniel und einem schmuddeligen Versager, auf den sich nur der Nachname Ornshaw bezieht. Wenn der Film nicht Melody hiesse, könnte man zunächst nicht vermuten, dass die Liebe innerhalb der ersten halben Stunde etwas mit der Handlung zu tun habe. Ornshaw, dessen Familie der Arbeiterklasse angehört, ist ein Schulkamerad von Daniel, der wiederum aus der bürgerlichen Mittelschicht stammt. Daniel schliesst Freundschaft mit dem Taugenichts als einen persönlichen Racheakt gegen seine spiessigen Eltern. Nun könnte man meinen, dass es in diesem Film um Klassenzuordnungen geht, und in gewisser Weise ist das für den Film auch relevant. Nachdem die Jungen jedoch während des Unterrichts über eine Ballettstunde gestolpert sind, spioniert Daniel zunächst Melody aus und ist sofort in sie verliebt, wodurch die Haupthandlung in Gang gesetzt wird. Der Film folgt den Komplikationen, die durch Daniels jugendliche Besessenheit verursacht werden, darunter Spannungen mit Ornshaw, Ungehorsam gegenüber Lehrern, Spott von Klassenkameraden (sowohl aus der Sicht der Jungen als auch der Mädchen) und Sorgen unter den Eltern der Kinder.
Melody ist eine interessante Auseinandersetzung mit der Liebe aus der Perspektive eines Kindes und der eines "erfahrenen" Erwachsenen und lässt den Betrachter überlegen, welche Perspektive die idealere ist. Können Kinder Liebe und alles, was sie mit sich bringt, wirklich erfahren, bevor sie die Schule verlassen, oder kommt wahre Liebe mit dem Alter, der Weisheit und dem "legalen" Erwachsenenstatus? Verwässert das Erwachsenenalter mit all seinen Komplikationen die Emotionen? Vergessen wir mit zunehmendem Alter Unschuld und Reinheit oder gehen wir einfach davon aus, dass Naivität ein Hindernis für wahre Emotionen ist?
Tom Ornshaw (Jack Wild)
Ornshaw (Jack Wild) und Daniel (Mark Lester)
Daniel Latimer und Melody Perkins
Auch die Liebhaber nostalgischer Filmmusik kommen voll auf ihre Kosten. Der Soundtrack wird vorwiegend von den Bee Gees mitgeliefert, mit Songs, die weit vor der Disco-Ära, für Filme wie Saturday Night Fever, komponiert wurden. Es ist eine Zusammenstellung einiger ihrer 60-er-Jahre-Melodien, ergänzt mit Instrumentalstücken, die vom Richard Hewson Orchestra beigesteuert wurden. Es sind wirklich schöne Melodien. Der Soundtrack als Ganzes ist weich und zart und ergänzt die Unschuld der Beziehungen der Kinder sowie die dem Film, aber auch den Bee Gees innewohnende "Britness", die im scharfen Kontrast zu ihrem späteren Erfolg steht. Die kurligste Szene des Films, so scheint es jedenfalls, ist mit dem letzten Song, dem bekannten Teach Your Children von Crosby, Stills, Nash & Young untermalt. Nur im Kontext der Bee Gees-Mehrheit wirkt es deplaziert. Wenn es jedoch der Szene, in der es spielt, gegenübergestellt wird, ist das Lied ein schönes Augenzwinkern. Jedenfalls kann ich mir mehr als nur ein Lächeln kaum verkneifen, wenn ich dieses schöne, zeitlose Lied der Verständigung zwischen den Generationen höre, das über die Handlung am Ende des Films gespielt wird.
Melody ist für den Liebhaber der Schulzeit-Nostalgie, den Romantiker, der an die Weisheit der Kinder glaubt, oder auch nur für den Liebhaber der Popmusikgeschichte ein wirklich ausgezeichneter Film.
Melody (GB 1971) Laufzeit: 106 min. / Regie: Waris Hussein / Produktion: David Puttnam
Melody (Tracy Hyde), Ornshaw (Jack Wild), Daniel (Mark Lester) (v.l.)
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Hermann Hesse: "Das Leben, das ich selbst gewählt"
Hermann Hesse 1935 von Martin Hesse fotografiert.
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Willy Guhl, Lehrer und Designer
Willy Guhl, geboren am 6. Juli 1915 in Stein am Rhein, gestorben am 4. Oktober 2004 in Hemishofen, war einer der bedeutendsten Schweizer Möbeldesigner, Produktegestalter und Innenarchitekt.
Leben
Nach der Primarschule in Stein am Rhein machte Guhl von 1930 bis 1933 eine Lehre als Möbelschreiner. Mit einem Stipendium für den besten Abschluss konnte er anschliessend bis 1938 an der Kunstgewerbeschule Zürich, in der Klasse bei Wilhelm Kienzle studieren. 1939 gründete er sein eigenes Atelier in Zürich.
Guhl war 1943 Mitbegründer der Vereinigung Schweizer Innenarchitekten (VSI) und 1966 des VerbandesSchweizer Industrial Designer (SDI). Von 1941 bis 1980 unterrichtete er an der Kunstgewerbeschule in Zürich, deren Leiter er von 1951 an war. Dort trieb er die Einrichtung der Fachklasse Produktegestaltung, eine der wenigen diesbezüglichen Ausbildungsstätten der Schweiz, ab 1971 voran. Sein Bestreben, die Kunstgewerbeschule enger als damals üblich mit der Industrie zu verknüpfen, um den Schülern bessere Zukunftschancen zu verschaffen, ist allgemein bekannt.
Sein Interesse an industrieller Fertigung und neuen Produktionsmethoden brachten ihn immer wieder mit der Industrie in Kontakt. 1959 arbeitete auch die Kunstgewerbeschule aufgrund seiner Initiative, erstmals anlässlich der Gartenbauausstellung G59 in Zürich, mit ihr zusammen. So ist seine Zusammenarbeit mit der Eternit AG in Niederurnen (GL), mit dem Möbelhersteller Dietiker + Co in Stein am Rhein sowie der Landmaschinenfabrik Robert Aebi AG in Regensdorf bei Zürich bekannt. Als bedeutender Vertreter des schweizerischen Neofunktionalismus schuf sich Willy Guhl besonders mit der Kreation eines Strandsessels, aus einem Eternitband hergestellt, einen Namen. Dieser Sessel (oder Stuhl), der übrigens gar nicht so bequem ist, entwickelte sich im Laufe der Zeit zur Ikone innerhalb des schweizerischen Möbeldesigns und wird in einer von Guhl im Jahr 1998 modifizierten Version - als Folge des internationalen Verbotes zur Verwendung von Asbestfasern in Eternitprodukten - nach wie vor hergestellt.
Dokumentation
Leider existiert über Willy Guhl und die Anfangszeit seiner Karriere nur sehr spärliches Bildmaterial in Form weniger Fotografien und kaum verwertbare filmische Sequenzen; und noch lebende Zeitzeugen - zum Beispiel ehemalige Schüler - befinden sich ausnahmslos in hochbetagtem Alter.
Damit der Altmeister und unser "Regionalheld" nicht gänzlich in Vergessenheit gerät, hat es sich das Team des Schaffhauser Eclipse-Studios unter der Leitung der Brüder Faro und Michael Burtscher sowie dem Mitbegründer Reto Coaz, zur Aufgabe gemacht, über Willy Guhl einen Dokumentarfilm zu drehen.
Im Rahmen dieses Projektes entstand in der Kammgarn West, Schaffhausen (ehemals Hallen für Neue Kunst), eine Art Werkschau mit etlichen, aus Privatbesitz stammenden Ausstellungsstücken. Dabei bilden vor allem die von Guhl und seinen Schülern entworfenen Stühle und die zahlreichen Eternitprodukte (eben auch der "Guhl-Stuhl") Schwerpunkte. Die Ausstellung wird durch einige Möbel bereichert, deren Entwürfe von Designern entsprangen, die sich von Guhl inspirieren liessen.
Im Dokumentarfilm sollen auch die letzten lebenden Zeitgenossen von Guhl sowie Protagonisten der Schweizer Designerszene in Interviews zu Wort kommen. Der Film soll 2021 im Kino Schwanen in Stein am Rhein Premiere feiern. Ich bin mal gespannt, wie es weitergeht...
Übrigens: Für die Herstellung des Films werden noch eifrig Sponsoren gesucht. Also: wenn ihr Geld habt, aber keine Ahnung, etwas Vernünftiges damit zu machen, meldet euch doch bitte gleich beim Eclipse-Studio-Team.
Weiterführende Infos zum Thema: willyguhl.ch
Text und Fotos: Robert S. Bolli
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Le petit malicieux
Nella Buscot: Le petit malicieux (Der kleine Schelm), Bronze, 2003