Robert Stephan Bolli

"Diese Skulptur umarmt einen"

Text: Alfred Wüger

NEUHAUSEN In der Rheinfallgemeinde ist etwas Ungeheuerliches geschehen, etwas so Ungeheuerliches, dass der bekannte Werbefachmann Mäni Frei auf Facebook sogar von einem "Tatort" spricht. Was ist geschehen? Die Gemeinde hat sich erlaubt, einen neuen Verkehrskreisel im Langriet, in unmittelbarer Nähe der Bushaltestelle Herbstäcker, mit einer Skulptur zu versehen. Dabei, so noch einmal Mäni Frei, handle es sich um "visuelle Umweltverschmutzung" und: "Wer es bezahlt, ist uns klar!" Starker Tobak. Das findet jedenfalls Beat Toniolo, der - ebenfalls auf Facebook - sofort konterte: "Ach, was muss da mein künstlerisches Auge für verwerfliche Worte unseres ehemaligen Mr. Rheinfall lesen: Er verachtet die Kunst im Kreisel, oha lätz!"

Einst kletterten darauf die Kinder

Eine solche Kontroverse schreit nach einem Ortstermin. In der Mitte des besagten neuen Kreisels im Langriet steht tatsächlich eine silbergraue, abstrakte Skulptur. Wer sich ganz tief hinunterbeugt, kann sogar an ihrem Sockel etwas lesen: "Amphion" heisst das Werk. Gegossen wurde es in Aarau von der Giesserei Rüetschi, wohl in den 1970er-Jahren. Der Neuhauser Gemeindepräsident und Baureferent Stephan Rawyler weiss mehr: "Bei dieser Plastik handelt es sich um ein Werk von Emmie Gossweiler-Portner", sagt er auf Anfrage. "Die Skulptur stand während vieler Jahre im Schülerhort, die Kinder sind darauf herumgeklettert, sodass wir sie aus Sicherheitsgründen dort entfernt und eingelagert haben." Als nun der neue Kreisel fertig war, dachte sich Stephan Rawyler, dieser sei ein idealer Standort für die Skulptur. "Gekostet hat uns das Ganze nur den Sockel, auf dem das Werk nun steht", so der Gemeindepräsident, der betont, dass man "aus Kostengründen auf eine Wasserleitung verzichtet" habe. Eine solche indes wäre nötig gewesen, hätte man Blumen anpflanzen wollen. "Und im Übrigen", fügte Rawyler hinzu, "und das sage ich jetzt nicht als Gemeindepräsident, sondern als an Kunst interessierter Mensch: Nur über langweilige Kunst wird nicht geredet."

Die Werke von Emmie Gossweiler-Portner waren angesehen und wurden prominent ausgestellt. Der Architekt Walter M. Förderer (1928-2006) lernte und arbeitete bei ihr. "Ihren Einfluss kann man sogar hier und da an seinen Arbeiten ablesen", so Rawyler. Im Vorfeld der Positionierung der Skulptur im Auge des Langrietkreisels wurde all dies jedoch nicht kommuniziert. Mäni Frei: "Irgendeines Tages steht das Teil dort. Ich denke: Was ist jetzt das wieder?  Einfach typisch Neuhausen. Es fehlt am Konzept. Ich finde das Objekt nicht schön."

"Inkompetent, peinlich und würdelos"

Beat Toniolo sieht das ganz anders: "Die Skulptur umarmt einen. Ich sehe darin eine Mutter, die ihr Kind trägt." Und dann kommts: "Dass ein Werber, der in seiner Karriere viel öffentliches Geld kassiert hat, von visueller Umweltverschmutzung und von einem Tatort spricht, zeugt vom Mangel an Achtsamkeit, Respekt und Demut gegenüber dem Werk einer Künstlerin, die immerhin Zeugin von zwei Weltkriegen geworden ist. Solche Aussagen sind inkompetent, peinlich und würdelos." Allerdings bemängelt auch Toniolo das Vorgehen der Gemeinde im Vorfeld. "Mir fehlt ein Informationsschild und dass man über die Idee, die Skulptur aufzustellen sowie über die Künstlerin gesprochen hat." Das wollen wir hier nachholen: Emmie Gossweiler-Portner wurde am 20. März 1904 in Basel geboren und lebte bis zu ihrem Tod am 1. Dezember 1976 in Neuhausen am Rheinfall und war eine anerkannte Bildhauerin und Malerin.

Keine Resonanz auf Ausschreibung

Zum Vorgehen und zum Konzept bei der Ausgestaltung des Kreisels sagte Gemeindepräsident Rawyler: "Wir hatten die Kreiselgestaltung ausgeschrieben. Die Reaktionen auf die Ausschreibung waren allerdings gleich null." Und er erinnerte in diesem Zusammenhang an die Kontroversen um die Neuhauser Kreisel bei der Scheidegg und am Ochsenplatz. "Sollten die Wogen wegen der Skulptur an der Langrietstrasse nun derart hochgehen, dann nehmen wir die Skulptur einfach wieder weg und lagern sie wieder ein." Dies aber wäre gewiss nicht im Sinne der Autofahrerin, die während der Debatte am Kreisel auf Schritttempo verlangsamt, die Seitenscheibe runterlässt und auf die Frage "Wie finden denn Sie die Skulptur?" sagt: "Super!"

Der Text und das Foto mit Beat Toniolo wurde den Schaffhauser Nachrichten vom 11. Juni 2020 entnommen

Fotos oben: Robert Bolli

 

 

 




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Seeburgpark Kreuzlingen

"Die Frau im Winde", Bronzeskulptur von Henri König, geb. 13. Januar 1896 in Romanshorn, gest. 24. Juni 1983 in Genf. 

Seeburgpark, Kreuzlingen/TG, am 10. Juli 2020 




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Trauben- und melonenessende Kinder

Bartolomé Esteban Perez Murillo, geboren. am 31. Dezember 1617 (evtl. auch 1. Januar 1618) in Sevilla, Andalusien, gestorben am 3. April 1682 ebenda.

Murillo war ein spanischer Maler des Barocks und der führende und berühmteste Maler Sevillas. Seine Eltern waren Gaspar Esteban, der in Sevilla das Metier des Barbiers und Chirurgen ausübte, seine Mutter hiess Maria Perez. Bartolomé war das jüngste von 14 Kindern. Im Alter von neun bzw. zehn Jahren verlor der Junge seine Eltern. Als Vollwaise wurde er von seiner Schwester Ana aufgenommen. 

Murillo ging zunächst bei Juan del Castillo in Sevilla in die Lehre, der mit seiner Mutter entfernt verwandt war. Beeinflusst wurde er von spanischen Malern wie Jusepe de Ribera, Alonso Cano und dem bis zur Jahrhundertmitte führenden sevillanischen Künstler Francisco de Zurbaran, die alle einen Tenebroso-Stil pflegten, der stark von dem Italiener Caravaggio beeinflusst war. Darüber hinaus auch getragen durch niederländische Werke wie die von Van Dyck und Peter Paul Rubens. Als Castillo 1638 nach Cadiz ging, machte sich Murillo als Maler selbständig. Der Legende nach lebte er in Armut und fertigte billige Andachtsgemälde an, die er auf Jahrmärkten verkaufte. Über seine frühe Schaffensperiode in den 1630er- und 1640er-Jahren ist jedoch nur wenig bekannt. Bilder sind kaum erhalten oder nicht identifiziert. Nach Berichten älterer spanischer Autoren soll er um 1642 eine Reise nach Madrid unternommen haben, wo er in den königlichen Gemäldesammlungen studiert haben soll. Das lässt sich zwar dokumentarisch nicht belegen, liegt aber durchaus im Rahmen des Möglichen. Denn von diesem Zeitpunkt an trat ein deutlicher Wandel seines Malstiles ein. Durch seine Darstellungen mit christlichen Motiven erlangte er erstmals Bekanntheit und Anerkennung.

1660 gründete Murillo die Akademie der schönen Künste in Sevilla. Nach dem Tod seiner Frau 1664 konnte er, bedingt durch seine Trauer, vorerst nicht weiter malen und ging mit seinen Kindern in ein Kapuzinerkonvent. In der nachfolgenden Zeit malte er viele seiner religiösen Hauptwerke, z. B. die Altargemälde für das Augustinerkloster Santa Maria la Blanca und das Hospital de los Venerables Sacerdotes.




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"Hölle & Paradies"

Mit "Hölle und Paradies" zeigt das Städtische Museum Engen ein Jahrzehnt deutscher Kunstgeschichte, das von tiefgreifenden Umbrüchen gezeichnet war. Gleich zu Beginn der Sonderausstellung werden die bedeutenden Kriegszyklenb von Ludwig Meidner (1914) und Otto Dix (1924) einander exemplarisch gegenübergestellt. Die Vorstellung des Krieges und seine grausame Realität bilden den Kristallisationspunkt für eine neue expressionistische Künstlergeneration, die sich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs formiert. Es ist die Zeit der gesellschaftlichen Extreme: zwischen Hunger und Verheissung, Revolution und Reaktion, Zukunftsängsten und hochgespannten Idealen. Stilistische Neuerungen wie Kubismus, Futurismus und ein expressiver Naturalismus werden von den Avantgarde-Künstlern Conrad Felixmüller, Georg Tappert und Bruno Krauskopf zur Intensitätssteigerung ihrer Bildsprache eingesetzt.

 Otto Dix: Leiche im Drahtverhau (Flandern), 1924

Man möchte die Gesellschaft mit den ästhetischen Mitteln der Kunst erneuern: schöpferisch, spirituell, politisch. Während auf den Strassen der Hauptstadt die Barrikadenkämpfe des Spartakusaufstandes toben, schliessen sich die Künstler in ganz Deutschland zu neuen Vereinigungen zusammen: in Berlin zur "Novembergruppe", in Dresden zur "Sezession Gruppe 1919", in Düsseldorf zum "Das Junge Rheinland". Sie fühlen sich als "Revolutionäre des Geistes". In der Euphorie des Neuanfangs der Weimarer Republik sind die Hoffnungen gross, den neuen Menschen in einer freiheitlichen Gesellschaft hervorzubringen. Die Kunst soll universal sein: der grosse Aufbruch der Gegenwart, Erlebnis und Zukunftsvision - von der "Hölle" des Krieges ins "Paradies" einer friedlichen, vergeistigten Menschheit, wie sie die süddeutschen Expressionisten Gottfried Graf, Albert Mueller und Josef Ebertz herbeiträumen. Doch lassen sich diese hochfliegenden geistigen Spannungszustände auf Dauer nicht aufrechterhalten. Das leidenschaftliche Gefühl weicht dem nüchternen Blick, dem Expressionismus folgen Abstraktion und neue Sachlichkeit.

 
Hans-Siebert von Heister, Kreuztragung, 1919/20

Bruno Krauskopf: ohne Titel (Landschaft), um 1920

 Karl Hofer, Taufe im Jordan, 1918 

 

 Carl Christoph Hartig; Blütenmorgen; 1921

 Carl Gunschmann; Jüngling und Mädchen;                                                                                                                                   um 1921

 

In den charismatischen Räumen des ehemaligen Klosters St. Wolfgang werden über 100 Kunstwerke von 30 Künstlern gezeigt, unter denen ein Curt Lahs, Hans Orlowski oder Curt Ehrhardt neu zu entdecken sind. Neben dem berühmten Dreigestirn "Meidner - Felixmüller - Dix" und den sich zwischen Figuration und Abstraktion bewegenden "Körperbildern" greift die Konzeption der Ausstellung mit "Porträt und Maske" den abgründigen, hypnotischen Blick auf.

  Heinrich Richter-Berlin;                                                                                                                                                              Zigeunermadonna; 1918

 

 Georg Tappert, zwei Mädchen im Profil;                                                                                                                                      um 1918

 

 Gottfried Graf, Ganymed II, 1921 Gottfried Graf, Mädchen mit Paradiesvogel, um 1919/20

 Georg Tappert, Mädchen im Korbsessel, 1910

 Curt Lahs, Heiliger Sebastian, 1918

 

Text und Fotos:  Robert Bolli, 7. Juli 2020

 

 

 

 

 




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Bildstein/Glatz: The Loop

Matthias Bildstein/Philippe Glatz: THE LOOP 2017-2021

Installation mit Doppellooping (Durchmesser ca. 15.00m), vor den Toren der Kartause Ittingen/TG

Die Konstruktion aus Holz und bedrucktem Aluminium erinnert an Sportanlagen oder an Fahrgeschäfte in Vergnügungsparks und lässt an Temporausch, den Abschied von der Schwerkraft oder an Momente der gefühlten Schwerelosigkeit denken. 

Das Künstlerduo Bildstein/Glatz baute, zusammen mit Mitarbeitern der Stiftung Kartause Ittingen, den Loop im Frühjahr 2017 bewusst in die ländlich-idyllische Umgebung, zwischen Hopfenplantagen und Seminargebäuden, was die Installation surreal erscheinen lässt. Der Loop ist nicht begehbar. Eher handelt es sich um ein fantastisches Gedankenspiel, bei dem eine geistige an die Stelle einer körperlich nicht realisierbaren Bewegung tritt.

Auf der Fahrbahn des Doppelloopings reihen sich farbige Lettern zum Wortband "LOOP THE LOOP THE LOOP..." Die Endlosschleife der zwei miteinander verbundenen Ellipsen verweist auf andere Dimensionen - jene der Kunst und der Geschichte: Während über 400 Jahren prägten Gebet und Meditation das Leben der Kartäusermönche in Ittingen. Bildstein/Glatz verleiht der Vorstellung vom selbstvergessenen Kreisen im Kopf neue Bedeutung. Auf der Umlaufbahn stellen sich zeitlose und aktuelle Fragen - nach Spiritualität, der Sinnhaftigkeit unserer Leistungsgesellschaft und Selbsterkenntnis. So wird der unbenutzbare Looping zum Sinnbild für die Reflexion über jegliches Handeln und Dasein, für Versenkung und Entrückung. Er wird zur Metapher für die Bewegung in Richtung Unendlichkeit.

Matthias Bildstein (*1978, Hohenems) und Philippe Glatz (*1979, St. Gallen) leben in Wien und Kreuzlingen.




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