Die Kulturorganisation Origen hat in der Nacht vom 19. auf den 20. August 2020 die denkmalgeschützte "Weisse Villa" im Bündner Bergdorf Mulegns um acht Meter verschoben. Mit der ungewöhnlichen Umplatzierung konnte das berühmte Gebäude, das wohl jeder Reisende kennt, der die Passstrasse zum Julier befahren hat, erhalten werden. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur Keystone-SDA berichtete von ein paar Dutzend Schaulustigen, die dem Spektakel beiwohnten.
Für Origen war die Verschiebung nicht einfach ein technisches Unterfangen. Vielmehr machte die Kulturorganisation, die 2018 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet worden war, einen kulturellen Akt daraus. Wie ein grosses Puppenhaus auf Reisen wurde die in verschiedenen Farben festlich beleuchtete Villa bespielt und besungen.
Aus dem fahrenden Haus erklangen den Angaben der Organisatoren zufolge rätoromanische Lieder. Laut Origen sollten sie an das grosse Heimweh des Zuckerbäckers Jean Jegher erinnern. Den Mann plagte während seiner Zeit in Bordeaux grosses Heimweh, das ihn schliesslich zur Rückkehr in die Heimat sowie zum Bau der Villa an der Julierstrecke bewegt hatte.
Die Fassadenmalereien zeigen u. a. Orte, an denen der Zuckerbäcker gewirkt hat.
Die Inszenierung mit dem Verschieben des Gebäudes startete am Donnerstagabend gegen 22:00 Uhr. Mit der Verschiebung endete nunmehr auch die jahrzehntelang geführte Diskussion um die Beseitigung des wohl schmalsten Engpasses an der Julierstrasse.
Das Projekt ist mit Kosten von 5,6 Millionen Franken verbunden. Die Bündner Regierung steuerte einen Betrag von 1,95 Millionen Franken bei. Origen will den Kern des wohl kleinsten Dorfes im Alpenraum - je nach Quelle variiert die aktuelle Einwohnerzahl zwischen 16 und 19 Personen - in Zukunft kulturell beleben. Theater, Ausstellungen und Rauminstallationen sind geplant. Geht die Rechnung auf, soll in Mulegns ein innovatives Kulturdorf entstehen.
Die Julierstrecke ist die Hauptverkehrsader zwischen Nordbünden und dem Engadin. Praktisch jeder Autofahrer und jede Autofahrerin, die den Julierpass schon überquerten, kennt den Engpass in Mulegns (zu deutsch: Mühlen)
Es gab bisher kein Ausweichen: Sämtliche Lastwagen und Autos mussten sich durch das Nadelöhr zwängen. Fahrzeuge rissen wiederholt Fassadenstücke, zum Beispiel Balkone, von den Gebäuden weg. Die Kratzspuren sind an den Hauswänden sichtbar. Nunmehr - so das Fazit der Organisation - "wird das wunderbare Bauwerk für die Nachwelt erhalten, die Korrektur der Julierstrasse (inklusive Trottoir) ermöglicht und die Sicherheit sowie Lebensqualität im Bergdorf wesentlich verbessert".
Einer der Salons.
Einer von mehreren Warmluft-Speicheröfen.
Ein weiterer Salon mit Originalteppich und -tapeten.
Hier gibt es noch viel zu tun.
Ein weiterer Raum, der auf seine Renovation wartet. Die Zuckerstöcke symbolisieren die Tätigkeit, mit der Jean Jegher zu Reichtum gelangte.
Das Treppenhaus
Ein Bedienstetenzimmer mit Rauchspuren am Kamin.
Nochmals ein Salon mit Originalausstattung.
In der Ecke ein Specksteinofen als Warmluftspeicher.
Ein Blick in das Kellergeschoss. In der Nische befindet sich ein Brennholzvorrat. Das Kellergewölbe ruht auf dem vor der Verschiebung neu erstellten Betonfundament. Die sauberen Trennlinien sind deutlich auszumachen. Im Hintergrund "moderne Kunst" aus dem 3-D-Drucker.
Mulegns/GR, im Juli 2021, Fotos: Archiv Robert Bolli; Text: Benjamin Hofer im Baublatt.ch
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Chinesische Weisheit
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Robert S. Bolli am 18.08.2021 Eine völlig unerwartete Entdeckung am Ortsrand von Savognin: Ein kleines, prächtig blühendes Bijou als Gartenoase eines Mehrfamilienhauses.
Origen Festival Cultural
Burg Riom (Casti da Riom); Ansicht von Südwesten
Burg Riom
Nach dem verheerenden Brand im Jahre 1864, dem fast das ganze Dorf Riom zum Opfer fiel, wurde an der Burg das Dach abgetragen und die gesamte Inneneinrichtung entfernt, um Bauholz für den Wiederaufbau des Dorfes zu gewinnen. In der Folge fristete die Burg ein kümmerliches Dasein als Ruine und verfiel zusehends. Ab 1936 erfolgten erste Sanierungsarbeiten, um die Mauern zu sichern und im Jahre 1973 wurde ein Schutzdach erstellt, nachdem man sich der Bedeutung einer der imposantesten spätmittelalterlichen Festungsanlagen Graubündens bewusst wurde. 2006 erfolgten nach Plänen des Churer Architekten Marcel Liesch die Einbauten für die Nutzung der Burg als Theaterraum mit Bühne und Sitzplätzen für bis zu 220 Zuschauer. Seither beherbergt das Gemäuer das erste und zugleich grösste Theater-Festival für die rätoromanische Kultur. Das Origen-Festival findet traditionell in den Sommermonaten Juli und August statt. Ein Winterbetrieb ist aufgrund des löcherigen und deshalb auch zugigen Mauerwerks sowie einer fehlenden Heizungsanlage nicht möglich.
Der Säulengarten mit der Villa Carisch im Hintergrund
Villa Carisch + Clavadeira
Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Origen Festivals wurde im Jahr 2011 gesetzt. Mit dem Ankauf des herrschaftlichen Anwesens des "Monsieur Carisch" inmitten des Bergdorfes Riom, verfügt die Organisation mit der Villa Carisch einerseits, über eine vitale Kulturzentrale mit Ausstellungsräumen, Probesälen, Werkstätte, Verwaltung sowie einem Café; und mit der nun umgebauten Scheune (rätoromanisch Clavadeira) andererseits, über das langersehnte Wintertheater (seit 2015), das mittlerweile ganzjährig bespielt wird.
Der Säulengarten
In Zusammenarbeit mit der Abteilung dbt (digital building technologies) der ETH, unter der Leitung von Professor Benjamin Dillenburger, wurde im Garten der Villa Carisch ein Säulenwald erstellt, der komplett im 3D-Druckverfahren entstanden ist. Die neun unterschiedlichen Betonsäulen sind Prototypen einer neuen Bautechnologie und wurden auf dem Hönggerberg produziert. Der Säulenwald ist gleichsam der Auftakt für eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Origen und der ETH. Die Kooperation ist geprägt vom Interesse am performativen Raum und fördert die Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft.
Der Säulengarten (Detail)
Die Clavadeira (Foto: Origen Festival Cultural)
"Monsieur Carisch"
Lurintg Maria Carisch wurde 1821 in Riom als viertes Kind einer Bergbauernfamilie geboren. Daher blieb ihm nichts anderes übrig als auszuwandern. In Paris erlernte er das Handwerk des Zuckerbäckers und kam so zu Ruhm und Ansehen. Mit einem üppigen Vermögen ausgestattet (offenbar hatte er es zum Milionär geschafft), kehrte er im Alter von 44 Jahren nach Riom zurück. Es war sein sehnlichster Wunsch, ein Haus zu bauen und seinen Lebensabend als Bauer zu verbringen. Bevor er jedoch das Wohnhaus und die Stallungen errichten liess, baute er an der Julia eine Mühle, eine Sägerei und eine Scheune; damit konnte er das benötigte Baumaterial aus den eigenen Betrieben beschaffen. Lurintg Carisch starb 1898. Seine Kinder blieben ohne Nachkommen.
1930 wurde das gesamte Anwesen an die Schwestern von Menzingen verkauft. Die Klostergemeinschaft nutzte das Haus als Feriendomizil und hat das gesamte Anwesen in seiner ursprünglichen Charakteristik erhalten.
Der Julierturm (auch roter Turm genannt)
Der Julierturm auf der Passhöhe
Der Julierturm, auch Roter Turm genannt, wurde bereits 2015 vom Origen Festival Cultural unter Intendant Giovanni Netzer lanciert und im Jahr 2017 errichtet. Die 30 Meter hohe, temporäre Konstruktion wurde vom Architekten Köbi Gantenbein entworfen und besteht vollständig aus einheimischem Holz. Dieses weltweit wohl einmalige Bauwerk beherbergt einen Theaterraum, der speziell Aufführungen mit Betonung der Vertikalen ermöglicht. Die Zuschauer sitzen in den hohen Fensterlogen, die sowohl die Sicht auf die Bühne, als auch in die spektakuläre Gebirgslandschaft zulassen. In der obersten Etage befindet sich eine Bar. Ursprünglich war der Rückbau des Turmes für das Jahr 2020 vorgesehen. Aufgrund der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden, vollständigen Einstellung des Theaterbetriebes, reichten die Organisatoren ein Gesuch um Fristverlängerung bei der zuständigen kantonalen Baubehörde ein. Diese gewährte nun einen Aufschub bis Ende 2023. Dem Origen-Festival kommt dieser Entscheid insofern entgegen, da die Erwartungen bei Weitem übertroffen wurden: Sämtliche Vorstellungen sind bis auf weiteres ausgebucht. Das freut nicht nur die Veranstalter, sondern auch die bisher arbeitslosen Schauspieler und Tänzer.
(Die Reihe wird fortgesetzt)
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Savognin "modern art"
Wein & Galerie "im 26i"; Savognin/GR 16. Juli 2021
Fotos: Archiv Robert Bolli
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Kirche St. Martin zu Zillis
Als "ecclesia plebeia" (Kirche für das einfache Volk) wird die Kirche St. Martin zu Zillis, Graubünden, anno 831 erstmals urkundlich erwähnt, ebenfalls der Ortsname Zillis als "Ciranes". Im Weiteren bestätigen Ausgrabungen und Münzfunde, dass eine Kirche schon zur Römerzeit bestanden hat. In der romanischen Epoche - anfangs des 12. Jahrhunderts - wurde dieser Bau vollständig abgebrochen und in der heutigen Form neu aufgebaut.
In dieser Zeit, um 1109 - 1114, wurde die weltberühmte bemalte Decke geschaffen, welche der Kirche den Beinamen "Sixtina der Alpen" einbrachte und die Aufnahme in die Liste der UNESCO -Weltkulturgüter ermöglichte. Dieses Kunstwerk der Romanik ist weltweit das einzige dieser Art, das nahezu vollständig und ohne Übermalung erhalten geblieben ist. Die Kirchendecke besteht aus 153 quadratischen Bildtafeln (9 Reihen à 17 Tafeln) von je ca. 90 cm Seitenlänge. Die meisten sind aus Tannenholz und wurden zuerst mit einer dünnen Schicht Gips grundiert, dann aufrecht bemalt und erst dann in die Decke eingesetzt.
Die Bilderdecke ist nach einer mittelalterlichen Vorstellung der Erde gegliedert. Die Randfelder zeigen Meer (erkennbar an den wellenförmigen Einfassungen), das von Fabelwesen bevölkert wird. In den Ecken stehen Engelsfiguren, die die vier Winde darstellen. In den Binnenfeldern, auf dem Land sozusagen, wird das Leben Jesu bis zur Dornenkrönung erzählt. Ergänzt werden die Darstellungen um sieben Tafeln zur Legende des Kirchenpatrons.
Die Deckentafeln sind abnehmbar und wurden in der Vergangenheit verschiedentlich untereinander ausgetauscht. Die heutige Anordnung stammt aus den 1930er-Jahren und entspricht dem damaligen Stand der Bilderforschung.