Robert Stephan Bolli

Minusio antico (II)

Villa Roccabella

Es war am frühen Abend des 25. April 2022 (dem ersten trockenen und lauen Frühlingsabend nach einer ergiebigen Regenperiode), als ich mich zusammen mit meinen Jungs nochmals zu einem Abendspaziergang aufraffte. Geplant war lediglich ein kurzer Bummel der Rivapiana zu Minusio entlang. Daraus wurde letztlich eine fast 2-stündige Wanderung auf abenteuerlichen Pfaden, die uns etappenweise zu fast vergessenen Tessiner Welten führten. Die uralte romanische Kirche San Quirico und die altehrwürdige Ca' di Ferro habe ich bereits früher beschrieben. Nun aber wollte ich, bevor wir das Gemeindegebiet von Tenero erreichten, die Seepromenade verlassen, die Kantonsstrasse irgendwie überqueren und durch höhergelegene Wohnquartiere und Wälder nach Hause gelangen. Eine moderne Bahn- und Strassenunterführung erleichterte unser Vorhaben. Doch eine Wanderung an der vielbefahrenen Strasse zurück ins Ortszentrum versprach keine besondere Attraktivität. Der gelbe Wanderwegweiser zum Sentiero Roccabella verhiess dagegen schon mehr Abenteuer. Unsere Entscheidung, diesem Weg zu folgen, erwies sich im Nachhinein als genial.

Nach Verlassen der Unterführung folgt der Weg zum Sentiero zunächst zirka 200 Meter der Via San Gottardo in Richtung Gordola, entlang einer halbzerfallenen Stützmauer, die offensichtlich zum einem Grundstück für die gehobene Gesellschaft gehört. Nun beginnt der eigent-

liche Sentiero, das heisst, es geht zunächst einmal eine Menge Treppenstufen durch verwildertes Grasland aufwärts. Der erste Schein trügt: Alle Treppen wurden erst kürzlich, mit behauenen und gefrästen Granit-Stellsteinen neu angelegt. Sogar neue, metallene Handläufe sind vorhanden. Auf der ersten Anhöhe angekommen, teilt sich plötzlich der Weg und der geneigte Wanderer sieht sich mit der Frage konfrontiert, welcher der beiden Wege die richtige Fortsetzung des Sentieros ist. (Anm. des Verfassers: der Weg nach rechts, der zunächst auf einer vergammelten Auffahrt leicht abwärts führt, wäre der Richtige, der entsprechende gelbe Wegweiser folgt allerdings erst nach etwa 100 Metern.) Wir entschlossen uns, den Weg nach links (immer noch die vergammelte Auffahrt) zu nehmen, denn letzlich führt dieser wieder Richtung Minusio. Und dann waren wir zunächst einmal sprachlos. Wir standen plötzlich inmitten eines völlig verwahrlosten Grundstücks, eher an einen vergammelten Park erinnernd, weniger an einen klassischen Garten. Ausser verwilderten Hanfpalmen gab es nichts Blühendes. Und vor uns stand sie nun, die dazu gehörende Villa. Ein neoklassizistisches Bauwerk aus dem 19. Jahrhundert, dessen glanzvollste Zeiten bereits mehrere Jahre, um nicht zu sagen, Jahrzehnte zurücklagen. Ich war begeistert - durch Zufall hatten wir am Ortsrand einen veritablen "Lost Place" gefunden. Damit war unsere Neugier zur Genüge geweckt und wir machten uns daran, den Kasten zu erforschen. Im Nachhinein stellte sich dann allerdings heraus, dass die Liegenschaft gar nicht so "lost" war, wie angenommen. Davon zeugten nur schon die an der Zufahrtsstrasse angebrachten Absperrketten und die daran hängenden Hinweisschilder mit dem Aufdruck "privato" - so ziemlich das Neueste im ganzen Areal. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur Geschichte dieses Anwesens werde ich mich zu einem späteren Zeitpunkt äussern. Meine bisherigen Recherchen beschränken sich diesbezüglich auf die spärlichen Artikel im Internet. Der Buchautor und Lokalhistoriker Giuseppe Mondada aus Minusio hat in seiner Publikation über die Gemeinde die Villa ausführlich beschrieben. So bezeichnet er Roccabella als eines der Wahrzeichen Minusios und definiert  sie als "Herrenhaus mit 15 grossen Sälen und Zimmern, 4 Terrassen und zwei Veranden, die mit den notwendigen Räumlichkeiten für das Dienstpersonal auf drei Etagen aufgeteilt sind." Die Räume im Erdgeschoss wurden mit Gemälden bereichert, die teilweise Vanoni zuzuschreiben sind. Ausführlicheres folgt, wenn ich die entsprechenden Texte von Mondada übersetzt habe.

Doch vorerst nur soviel: das altehrwürdige Gemäuer von Roccabella könnte so manche Geschichten erzählen, haben doch im Laufe der Jahre mehrmals die Besitzer gewechselt. Da war zum Beispiel der Russe Emmanuele de Gerbel von Nicolaioff, der dort seit mindestens 1871 gelebt hatte. Oder der berühmte Tessiner Staats- und Ständerat Rinaldo Simen, nach dem nicht nur in Minusio eine Strasse benannt ist. Der Opernstar Luciano Pavarotti gehörte ebenso zur illustren Gästeschar, die auf Roccabella ein- uns ausgingen. Man sagt, seine Sensibilität für Schönheit habe es ihm ermöglicht, die Villa und ihren Komfort, aber auch die unbezahlbare Landschaft, die sie umgibt, zu schätzen. Nach dem Tod des letztmaligen Besitzers Franz Fischer (ihm gehörte auch die im vorigen Artikel beschriebene Cà di Ferro), soll die Liegenschaft angeblich von einem in Locarno ansässigen Unternehmer und Immobilienmakler erworben worden sein, der für die "Aufwertung" von restaurierungsbedürftigen Objekten bekannt ist. So gesehen, hätte das unter Denkmalschutz stehende Anwesen keinen passenderen Besitzer finden können. Aber dieser Deal soll bereits im Jahr 2020 über die Bühne gegangen sein (dem Erscheinungsjahr des entsprechenden Artikels in der Zeitung "LaRegione".) Seither herrscht Funkstille. Branchenkenner gehen von einer Summe von 4 Millionen Franken aus für Villa und Grundstück (als Verhandlungsbasis), der selbe Betrag müsste nochmals für die Restaurierung aufgeworfen werden.

 

Fotos: Robert Bolli / Text: in abgeänderter Form aus "LaRegione" vom 28.10.2020

 

Ehemaliges Rebgut am Sentiero Roccabella

Etwas oberhalb der Villa Roccabella, einige Dutzend Treppenstufen höher, aber immer noch am Sentiero, befindet sich inmitten völliger Wildnis ein kleines ehemaliges Weingut. Der Wildwuchs lässt erahnen, dass hier seit Jahren nichts mehr angebaut wird. Bestimmt wüsste Historiker Giuseppe Mondada mehr über die einstigen Rebbauern an diesem heute eher trostlosen Hang zu berichten. Gehörte das kleine Gut noch zum Besitz der Villa Roccabella oder war es bereits Teil des Herrschaftsgebietes der nahegelegenen und ebenso berühmten "La Baronata"? Im Wildwuchs zwischen Kastanienbäumen, Akazien, Hanfpalmen und vielerlei krautartigem Gewächs lässt sich die einstige Terrassierung erkennen. Noch finden sich mancherorts Überreste von Natursteinmauern, und wie als Mahnmal ragen die Betonpfosten für die Spanndrähte wie faulige, bröckelnde Zähne himmelwärts. Zu unserer Überraschung entdeckten wir auf unserer Abenteuerwanderung, da wo sich die Vegetation etwas zurückhielt, die einigermassen intakte Zahnschiene für die ehemalige Rebberg-Transportbahn, mit der während der "Wümmet" (Weinlese) die Trauben zu Tal gebracht wurden.

Fotos und Text: Robert Bolli

 

 




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Eric am 31.05.2022
Tolle Fotos und spannende Berichte!

Zum Gedenken an Jacky

Hi Jacky...! Heute am 11. Mai 2022 hättest Du Deinen 70sten Geburi feiern können. Ha, welch ein Alter - irgendwie unfassbar! Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wie Du heute aussehen könntest. Na ja, jedenfalls bin ich mal gespannt, ob das klappt mit dem Wiedersehen in der Anderswelt. Wenn es o. k. ist, denke ich, dass es kaum nochmals ein halbes Jahrhundert dauern wird, bis zu einem finalen Meeting. Also, mach's gut und bis dann... Dein kleiner Bro.

 




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Melanie am 12.05.2022
Nice!

Minusio antico (I)

Kirche S. Quirico e Giolitta

Im Quartier Rivapiana, direkt an der Bahnlinie Giubiasco - Locarno, steht die Kirche San Quirico e Giolitta, die bereits im Jahre 1313 als Volkskirche erwähnt wurde. Das romanische Bauwerk wurde in späteren Jahrhunderten mehrmals umgebaut und erweitert, wobei der ursprüngliche Stil jedoch weitgehend beibehalten wurde. Im einschiffigen Gebetsraum sind längs der Wände mehrere (leider nur mehr schlecht erhaltene) Freskenzyklen aus dem 14. bis 16. Jahrhundert zu sehen. Dabei handelt es sich um Darstellungen aus dem Leben Jesu. 

Etwas abseits steht der auffallend massiv errichtete Campanile (Glockenturm). Der älteste Teil des romanischen Turmes geht auf das 12. Jahrhundert zurück, ist also wesentlich älter als die Kirche selber. Vermutlich diente der Bau ursprünglich als Wachtturm, der Einbau eines Geläutes erfolgte erst Ende des 15. Jahrhunderts.  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Casa di Ferro

Am oberen Ende des Lago Maggiore, längs der Route von Bellinzona nach Locarno, wurden im Mittelalter verschiedene Burgen errichtet. Eine bedeutende Wehranlage erhob sich bei Gordola, und im eingangs erwähnten Campanile der Kirche S. Quirico zu Minusio steckt ein mittelalterlicher Wehrturm, wahrscheinlich der Rest einer grösseren, mittlerweile verschwundenen Wehranlage. Viel jüngeren Datums als diese nur noch in Resten erhaltenen Bauten ist die Casa di Ferro, ein schlossartiger Gebäudekomplex an der Rivapiana in Minusio. Heute zwischen Eisenbahnlinie und Seepromenade eingeklemmt, kommt das Schloss mit seinem etwas schäbig gewordenen Äusseren nur noch wenig zur Geltung. Und trotzdem haben wir mit der Casa di Ferro ein Baudenkmal vor uns, das an eine bedeutende Epoche der Schweizer Geschichte erinnert, an die Glanzzeit des Reislaufens im 16. Jahrhundert.

Der mehrteilige Gebäudekomplex geht auf das Jahr 1560 zurück und besteht aus einem grossen Wohntrakt, einem freistehenden, vorgeschobenen Viereckturm und einem Vorhof, in dessen Ecke sich eine kleine Kapelle erhebt. Der Turm, bewehrt mit Schartenfenstern, trägt einen auf Steinkonsolen vorkragenden Oberbau mit Schlüsselscharten für Handfeuerwaffen. Vom Wohntrakt aus kann der Turm über eine kurze Verbindungsbrücke aus Stein durch einen Hocheingang betreten werden. Dieser Viereckturm stellt den bemerkenswerten Versuch dar, die im 16. Jahrhundert längst überlebte und veraltete Burgenarchitektur zum Zweck der Repräsentation neu zu beleben.

Vom gleichen Baugedanken ist der Wohntrakt erfüllt. Er gruppiert sich im Geviert um einen Viereckhof. Über dem Eingangstor ragt ein kleiner Glockenturm empor, und in der Nordwestecke des Trakts erhebt sich ein weiterer Viereckturm mit flachem Pyramidendach. An der Südwestecke war einst eine Pfefferbüchse angebracht, die den burgartigen Charakter des Bauwerks unterstrich. Obwohl der Wohntrakt grosse Fensteröffnungen aufweist, erweckt er einen düsteren Eindruck, was vor allem die massive Fenstervergitterung hervorruft, die dem Bau fast einen gefängnisartigen Charakter verleiht.

Die Umfassungsmauer des äusseren Hofes, der einst der Seeseite des Gebäudes vorgelagert war und die Kapelle einschloss, ist heute durch eine Kirschlor-beerhecke ersetzt, wodurch die Kapelle mit ihrer Renaissance-Vorhalle besser zur Geltung kommt. Erbauer der Casa di Ferro war Peter a Pro, der Sohn von Jakob a Pro, der um 1556/59 das nach der Familie benannte Schloss zu Seedorf in Uri errichten liess. Ungefähr um die gleiche Zeit erbaute Peter a Pro die Casa di Ferro zu Minusio. Im Unterschied zum Schloss in Seedorf, das sich an französischen und süddeutschen Bauformen orientierte, ahmte die Casa di Ferro die mittelalterliche Wehrarchitektur Oberitaliens nach. Peter a Pro, in die Fussstapfen seines Vaters getreten, hatte zum Zeitpunkt, da er die Casa erbauen liess, bereits öffentliches Ansehen erworben. 1542 war er Schreiber der Vogtei Lugano, dann diente er als Oberst in französischen Diensten. In seinen späteren Lebensjahren war er wiederholt Landammann von Uri. Sein Land vertrat er in verschiedenen diplomatischen Missionen. Das Reislaufen war für ihn - wie für andere Angehörige des Innerschweizer Patriziats - Geschäft und Gelegenheit zum sozialen Aufstieg.

Die Casa di Ferro erhielt den Ruf einer Söldnerkaserne, in der die in den Reislauf ziehenden Kriegsknechte angeworben und ihren Einheiten zugeteilt wurden. Wie viele menschliche Schicksale in der Casa di Ferro entschieden wurden, können wir heute bloss ahnen. Mit Peter a Pro und dessen Bruder Jakob starb die Familie im späten 16. Jahrhundert aus. Die ennetbirgischen Besitzungen des Geschlechts wurden aufgeteilt, die Casa die Ferro fiel in private Hand. Soweit die Räume bewohnbar sind, dient der Gebäudekomplex heute als Privatwohnung. Führungen werden keine angeboten.

Texte: S. Quirico: aus Wikipedia, Ca' di Ferro: Ticino Turismo / Fotos: Robert Bolli

 

Villa Parco San Quirico

In unmittelbarer Nähe zur Kirche San Quirico, im Quartier Rivapiana, liegt die Villa Parco S. Quirico, die im Jahr 2004 durch die Gemeinde Minusio aus einem Privatbesitz gekauft wurde. Das wunderschöne ehemalige Wohnhaus wurde in den frühen 30er-Jahren erbaut und liegt inmitten eines parkähnlichen Gartens von 2'000 m2. Das Grundstück ist östlich mit der Kirche San Quirico verbunden und grenzt  südseitig an die Bahnlinie Locarno - Bellinzona. Dank der hohen Terrassierung mittels einer Natursteinmauer mit Rundbogenarkaden, wirkt sich der Bahnverkehr jedoch kaum störend aus. Im Gegenteil: der ungetrübte Ausblick auf den See ist zauberhaft. Der Garten ist normalerweise öffentlich zugänglich, die Villa kann über die Gemeinde Minusio für Hochzeiten oder andere festliche Anlässe gemietet werden.

Foto und Text: Robert Bolli

 

 

 




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Kirche San Giovanni Battista

Chiesa San Giovanni Battista in Mogno (TI)

Am 25. April 1986, morgens um 7.15 Uhr, ging in der Tessiner Gemeinde Mogno eine riesige Lawine nieder und zerstörte zahlreiche Häuser und die kleine Dorfkirche. Nach einer langen Phase der Planung und Diskussionen entschied das Komitee für den Wiederaufbau, ein auffälliges, zukunftsweisendes Projekt zu wagen und die Idee des renommierten Luganeser Architekten Mario Botta zu realisieren. Mit dem Bau des anfänglich heftig umstrittenen Projekts wurde 1992 begonnen, die Vollendung erfolgte 1996. Die Kirche zählt heute zu den wichtigsten Tourismusmagneten des hinteren Val Lavizzara.

Botta entwarf die Kirche als ein Zusammenspiel vielfältiger naturhafter und spiritueller Symbolik. Er gab ihr die Form eines turmartigen, oben in 45-Grad-Neigung abgeschrägten Ovals mit kreisrundem Glasdach. Die Kirche hat die gleiche Höhe wie der von der Lawine weggerissene Glockenturm. Als Baumaterial wählte er Marmor und Gneis in lagenweisem Wechsel und erzeugte dadurch einen reizvollen Hell-Dunkel-Effekt. Der Marmor stammt aus dem Steinbruch im nahen Val Peccia und ist gesägt. Der Gneis, Beola genannt, wurde in den Steinbrüchen von Riveo im Maggiatal gewonnen. Seine Oberfläche ist gehauen. Die unterschiedlichen Oberflächenbearbeitungen unterstreichen den genannten Effekt. Diese geometrische Form und die Farbkontraste sind Gestaltungselemente, die Botta bereits beim San Francisco Museum of Modern Art (erbaut 1992-1995) verwendet hatte.

Der Innenraum ist im Grundriss rechteckig; die Wände vollziehen den Wechsel vom Dachrund zum orthogonalen Boden in allmählichem Übergang. Der Altar steht vor einer quasi-byzantinischen rundbogigen, abgestuften Durchgangsnische, hinter der sich die Sakristei befindet - wegen der Hanglage unterirdisch und von aussen unsichtbar. Der Eingang auf der gegenüberliegenden Seite ist aussen unter einem kleinen treppenförmigen Aquädukt, innen hinter einer Säule verborgen. Die Wassertreppe, über die bei Regen das Wasser vom Dach abfliesst, setzt sich innen unter dem Glasdach in einer bogenförmigen "Himmelsleiter" fort. Zwei weitere Nischen an den Schmalseiten des Raumes setzen in dem postmodernen Kontext zusätzliche archaische Akzente. Nur wenige Bankreihen aus hellem Holz verstellen den ebenfalls im Hell-Dunkel-Kontrast gestalteten Steinboden.

 

Text: mehrheitlich aus Wikipedia übernommen.

Fotos: Robert Bolli

 




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Offener Brief an den Bundesrat

Über 100 Schweizer Kulturschaffende richten sich wegen der russischen Invasion in die Ukraine mit drei Forderungen an den Bundesrat. Sie verlangen ein "entschlossenes Vorgehen gegen die Kriegs-finanzierung aus der Schweiz".

"Die Zeit des Wegschauens ist vorbei - handeln Sie endlich!", heisst es im Aufruf, den Filmemacher Samir am Montag auf Twitter veröffentlichte und mit einem entsprechenden Bericht der CH-Media-Zeitungen verlinkte.

Die Kulturschaffenden verlangen in ihrem "zivilgesellschaftlichen Aufruf", dass der Bundesrat eine Task Force einsetzt, welche die komplexen Vermögensstrukturen von russischen Oligarchen aufzudecken vermag. "Eine Meldepflicht allein reicht nicht aus."

Ferner soll der russische Rohstoffhandel nicht mehr weiter ungestört über die Schweiz fliessen und die Kriegskassen von Staatschef Wladimir Putin füllen. Und schliesslich müsse die Schweiz so schnell wie möglich unabhängig werden von russischem Gas und Öl.

Der Angriff des Putin-Regimes gegen die Ukraine töte, verwunde, traumatisiere und vertreibe Millionen Menschen aus ihrer Heimat, heisst es im Aufruf.

Die Schweiz habe zwar schnell und grosszügig humanitäre Hilfe geleistet. "Wir halten es allerdings für falsch, dass sie die Sanktionsmassnahmen gegen die kremlnahen Oligarchen nun nur zaghaft umsetzt." Dem reibungslosen Gang der Geschäfte werde alles andere untergeordnet, kritisieren die Kultur-schaffenden.

"Sorgen Sie dafür, dass die Schweiz mit aller nötigen Kraft die Finanzierungsnetzwerke des Putin-Regimes austrocknet", heisst es an die Bundesrätinnen und Bundesräte gerichtet weiter. "Mit jedem Tag, an dem wir nicht entschieden gegen das Regime vorgehen, sterben mehr Menschen."

Unterschrieben haben den Aufruf unter anderem die Schriftstellerinnen und Schriftsteller Adolf Muschg, Lukas Bärfuss, Monique Schwitter und Pedro Lenz, Filmemacher wie Samir und Xavier Koller sowie Kabarettisten und Satirikerinnen wie Emil Steinberger, Viktor Giacobbo, Karpi und Franz Hohler.

(Bericht: Keystone-SDA am 04. April 2022 - 09:58)

 




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peacemaker am 10.04.2022
hi Robert, was verstehst du unter "hype"?
Robert Bolli:
Hallo Peacemaker, zu deiner Frage Folgendes: Es ist nur zu verständlich, dass zu Beginn des Krieges ein Riesenwirbel um die Sache gemacht wurde. Doch ich frage mich, warum eigentlich? Wie kommt diese plötzliche Sympathie für ein Land zustande, dass geografisch und kulturell eher an Russland anlehnt? Vielleicht liegt es daran, dass die Ukraine nun mal die Nähe zu Europa (und somit zur EU) sucht, als z. B. afrikanische Länder. Gut möglich, dass auch nur rein wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen (jeder Krieg ist ein Geschäft). Die Ukraine sei Europas Kornkammer, sagt man. Da sollte man politisch nichts anbrennen lassen, besonders dann, wenn man wie bei uns in der Schweiz immer mehr von ausländischen Getreidelieferungen abhängig ist. Dennoch: wir beziehen in grossem Stil Gas und Erdöl aus Russland. Trotzdem hegen wir gegenüber dem ehemaligen Sowjetstaat im Allgemeinen keinerlei besonderen Sympathien, es sei denn, wir unterhalten Freundschaften oder verwandtschaftliche Verhältnisse auf der anderen Seite. Ist ja klar: Russland war 70 Jahre lang der "Böse Feind", der "Rote Aggressor" aus dem Osten. Und mit derart aggressivem Verhalten, wie es zur Zeit unter Putin aus dem Kreml kommt, kann man nun mal nicht Punkten. Wie auch immer: dieser Krieg wird auch uns weiterhin in zunehmender Weise beschäftigen, und wir sollten wieder einmal unser Gewissen hinterfragen, warum eigentlich bauen wir Sympathien zu Völkern auf, die nicht unsere Nachbarn sind, während andere Konflikte, wie zum Beispiel der Genozid in Ruanda hierzulande kaum nennenswerte Wellen aufgeworfen hatte. (Also doch "nur" wirtschaftliche Interessen?) Lieber Peacemaker, das wäre also beinahe meine Osterbotschaft. Viele Grüsse vom Friedensfürst
Robert S. Bolli am 08.04.2022
Diesem Bericht kann ich nur zustimmen. Den Aufruf würde ich jederzeit unterschreiben (leider hat man mich nicht deswegen angefragt.) Auch wenn ich dem momentanen Hype um die Ukraine nicht in allen Teilen folgen kann, so bin ich der Meinung, dass das Vorgehen des Putin-Regimes unverhältnismässig ist und eine reelle Bedrohung des Weltfriedens darstellt.