"The Wild Boys"
William S. Burroughs: "The Wild Boys", erschienen 1971 bei Grove Press, New York. Deutsche Erstausgabe: 1980 bei Zweitausendundeins, Frankfurt am Main.
The Wild Boys ist eine futuristische Geschichte über einen globalen Krieg, in der eine Guerillabande von Jungen (in der Regel Minderjährig), sich der Freiheit verschrieben haben und gegen die organisierten Armeen repressiver Polizeistaaten kämpft. Um es vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist nicht für jedermann geeignet. "Wohlfühlleser" beschert es eher Albträume. Die abgehackte Handlung ist zu unzusammenhängend, um jemals wirklich zu einem Ende zu kommen, sodass die Bilder eher in irgendeinem Vorraum des Gehirns verharren und nachts hervorbrechen, wenn Ihr armes Bewusstsein versucht, sie zu einer Art Vollständigkeit zu formen.
Die Bilder selbst sind manchmal grausam, und man kann Burroughs' wahnsinnige Energie und all seine wilden Vorstellungen fast spüren, wie sie auf der Seite hervorbrechen und - etwas erfolglos - in die Form eines Romans gepresst werden. Manche werden Probleme mit der homosexuellen Bildsprache haben, aber fast jeder wird bis zu einem gewissen Grad von der beiläufigen Erotisierung von Tod und Grausamkeit heimgesucht - ich glaube, die Maya-Sequenzen gehören zu den hartnäckigsten. Aber es ist nicht bloss zusammenhanglose Pornografie, es gibt eine wilde, energetische Schönheit und eine fast religiöse Hingabe an eine beliebig intensive Erfahrung, die - zusammen mit Burroughs' poetischem Stil - unvergesslich ist.
Das Buch zu lesen erfordert Arbeit und ein Verständnis dessen, was die Beat-Autoren erreichen wollten, und insbesondere ein Verständnis von WSB's literarischen Zielen und seiner persönlichen Geschichte. Für Newcomer die Burroughs nicht kennen, sei hier die Einleitung zu "Queer Beats" zu lesen, herausgegeben von Regina Marler. Es erklärt die Bewegung sehr gut und gibt eine kurze literarische Biografie von Burroughs und verwandten Autoren/Dichtern; Marler diskutiert auch die soziale und literarische Bedeutung der Beat-Bewegung.
The Wild Boys hat keine zusammenhängende Geschichte. Das wäre nicht Burroughs Schreibstil. Es ist eine Sammlung von Film-/Fantasy-Szenen, die oft emotional, pornografisch, gewalttätig, surreal, brutal, schön und verstörend sind. Es wird viel gekifft, gefickt und gemordet. Bilder und Szenen werden wiederholt und neu erzählt oder neu erfunden. Nichts ist tabu. Die meisten Sexszenen spielen zwischen Männern und Männern, und da viele aus WSB's Erinnerung und Fantasien stammen, betreffen sie minderjährige Jungen und sind sehr anschaulich und explizit. Burroughs erschafft eine antikonventionelle Fantasiewelt (ein queeres Nimmerland, bevölkert von anarchistischen, schwulen, verlorenen Jungs), in der er konventionellen Sitten und Idealen den Mittelfinger zeigt und seine Beherrschung der Sprache und der Bilder als Waffe und Pinsel einsetzt. Ich finde, das ist ein fantastisches Buch (nur schon wegen dem ungewöhnlichen Einband und der Zeichnungen von S. Clay Wilson) und Burroughs ist ein grossartiger Autor; ich vermute, die meisten Leser werden es für Schund und Pornografie halten.
N.B.: Eventuell hätte ich "Rouven" in derselben unkonventionellen und expliziten Art und Weise schreiben sollen - aber das ist nur so ein Gedanken.
Publiziert: 13. November 2024
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