"In meinen Augen besteht die wahre Bedrohung der Freiheit in computergestützter Gedankenkontrolle."
(W. S. Burroughs im November 1969)
Wirklich prophetische Worte sind das, die auf seine Literatur zurückweisen. Staatliche Kontrolle, soziale Kontrolle nistet in der Sprache. Da ist er sich sicher. Deshalb soll auch die Freiheit dort sein, im "Was" und "Wie" des Erzählten. Burroughs will zerstören, Platz schaffen, Platz für Neues.
publiziert am 9. März 2025
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Wort der Weisheit
Halten wir es nüchtern mit uns aus?
"Egal, wieviel man trinkt - das Risiko für die Gesundheit beginnt schon beim ersten Tropfen", sagt die WHO und fordert Warnhinweise. Für mich kommt die Warnung definitiv zu spät, sie passt jedoch zum Trend: nicht trinken, nicht rauchen, gesund essen, früh ins Bett. Hauptsache , gesund.
Darf man fragen: wozu? Um länger zu leben? Longevity, die Losung der Stunde. Das Altern ausbremsen. Kann hart werden: permanent darauf achten, dass "nichts passiert". Und damit leben, dass dann buchstäblich nichts mehr passiert. Siehe Bryan Johnson, die US-Gallionsfigur der Langlebigen, der ist etwas über 60, biologisch aber erst 45, bravo! Wie schafft er das? Er beschäftigt sich rund um die Uhr mit seinen Körperzuständen: Training, medizinische Kontrolle, Zwangsschlaf, über den Tag verteilt hundert Pillen - irre Karriere: Der Mensch, einst Weltgestalter, wird zum Buchhalter der eigenen Körpervorgänge.
Die WHO meint es halb so penetrant. Die Haltung ist dieselbe: jederzeit alles tun (vor allem lassen), die Gesundheit schonen. Aus Angst, am Ende am Leben noch zu sterben? Schon Plato wusste: Sich dauernd um seine Gesundheit zu sorgen, ist auch eine Krankheit. Weil man sich dann für nichts einsetzen kann, an nichts verschwenden, für nichts riskieren.
Die Alternative, die wir täglich entscheiden, lautet ganz einfach: Willst du möglichst viele Tage in deinem Leben - oder möglichst viel Leben in deinen Tagen? Und manchmal läuft halt "mehr Leben" leichter mit etwas Whisky.
Man denke an Ernest Hemingway. Oder mit Rauch. Man denke an Sigmund Freud. Er litt unter Kehlkopfkrebs, 32 qualvolle Operationen, eine Folge seiner Raucherei (bis 20 Zigarren täglich). Freud versuchte aufzuhören ("Man möchte doch nicht gleich und nicht ganz sterben") - und verlor seine schöpferische Energie: "Der psychische Kerl in mir weigert sich zu arbeiten."
Der "psychische Kerl": Das bin ich und doch nicht ich selbst. Er vertritt die unbewussten Mächte in mir. Die hören nur beschränkt auf vernünftige Appelle, stammen sie doch aus schicksalhaftem Gestrüpp - biologisch aus körperlichen Triebquellen, biographisch vielleicht sozialen Versagungen. Wir Menschen sind keine vom Himmel gefallenen Engel. Eher komische Vögel, oft eingeklemmt zwischen den animalischen und den geistigen Ansprüchen. Da mögen Zigarren und Whisky bloss Ersatzlösungen sein, wenn sie jedoch den "Kerl" beruhigen, ist das schon was wert; er bockt nicht mehr, mit Freud zu reden: "Er arbeitet wieder."
Puristen aber, bei der WHO und anderswo, möchten uns total sauber. Sie erinnern mich an Aldous Huxleys "Schöne neue Welt": Eine Gesellschaft, die sich fürs Glück und gegen Freiheit entschieden hat. Sie fand, Freiheit habe nichts als Schlamassel gebracht, Weltkriege, soziale Krisen, individuelle Tragödien, Suchtepidemien. Also schaffte sie Freiheit ab - und organisierte das immerwährende Glück, mit Menschenzucht, Wohlfühloasen, Sex à discrétion, Psychopharmaka für Härtefälle. "Die Menschen sind glücklich, sie bekommen, was sie begehren, und sie begehren nichts, was sie nicht bekommen können. Es geht ihnen gut, sie sind geborgen, immer gesund, haben keine Angst vor dem Tod. Leidenschaft und Alter sind diesen Glücklichen unbekannt."
Bis eines Tages "der Wilde" auftaucht und gegen die Glücks-Diktatur rebelliert. Weltaufsichtsrat Mannesmann empfängt ihn zum Gespräch: "Ich will Freiheit", sagt der Wilde. "Wir nicht", versetzt der Aufsichtsrat, "uns sind die Bequemlichkeiten lieber." "Ich brauche keine Bequemlichkeiten. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde." "Kurzum", sagte der Weltaufsichtsrat, "Sie fordern das Recht auf Unglück." "Gut denn", erwidert der Wilde, "ich fordere das Recht auf Unglück."
Nicht dass der Wilde direkt ins Unglück stürzen mag. Er will es aber riskieren dürfen. Damit es im Menschenleben um etwas geht, nicht allein ums Sauberbleiben. Um etwas, das bedeutender ist als mein Ego, um eine Geschichte, ein Drama, und das lebt vom Widerstreit zwischen Glück und Pech, Albtraum und Lachen, Liebe und Gemeinheit. Ist wie mit dem Wetter. Man kann darunter leiden, dass es manchmal garstig ist, und sehnlich wünschen, es möge immerzu sonnig sein. Nur - dann gäbe es gar kein Wetter mehr. Na - dann mal Prost!....
Text: Ludwig Hasler, Philosoph, Publizist und Buchautor. Foto: iStockphoto
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Botticelli - Variationen
Madonna del Magnificat; Sandro Botticelli; 1480 - 1485; Tempera auf Holz; 118 x 118 cm