Chris von Rohr
Heimatmüdigkeit
Deutschland und der EU geht es nicht gut. Chaotische, zerstrittene Führung, Migrationsprobleme und absurd gigantische Schuldentürme. Immer mehr Menschen wollen in die Schweiz. Pro Jahr sind es an die 100'000! Hier fühlen sie sich sicherer, und wir scheinen einiges besser zu machen. Doch hinter jeder Errungenschaft steckt eine Geschichte. Das Konzept und die Schöpfung des Schweizer Rechtsstaates waren harte, langjährige Arbeit, geprägt von Beharrlichkeit, Innovation und Qualität anstatt Grössenwahn, Überheblichkeit und Eroberungsfantasien. Im Kleinen, wo die rechte Hand noch weiss, was die linke tut, kann Grosses entstehen, wenn nicht zu viele Köche dreinreden. Ich habe es selbst erlebt.
Trotzdem herrscht hierzulande eine gewisse Heimatmüdigkeit. Mir scheint, als vergässen gerade viele, warum die Schweiz schon so lange ein einzigartiges, stabiles Erfolgsmodell ist. Diese liberale, unparteiische Objektivität war immer unser Trumpf. Selbstbestimmt, aber offen für gute Zusammenarbeit, weltweiten Handel im gegenseitigen Nutzen und geschätzte Gastfreundschaft. Anderen Ländern unsere humanitäre Hilfe, diplomatisches Terrain und demokratische Erfahrung anzubieten, ist ein kluges und fruchtbares Verhalten. Kooperation anstatt Konfrontation oder simples Mitläufertum. Warum sollte man seine Souveränität an etwas abgeben, was zurzeit eher schlecht als recht funktioniert?
Wer bei fremden bewaffneten Konflikten und Kriegseinmischungen direkt oder indirekt mitmacht, verliert seine Neutralität. Ein Wort, das leider gerade von vielen Volksvertretern belächelt wird. Sie sei überholt, von vorgestern. Für mich heisst Neutralität aber nicht Abschottung oder Rosinenpickerei, sondern besonnen, mutig und bei klarem Verstand die Chance des Kleinen zu erkennen und sich auf seine Stärken zu besinnen. Der Welt auch als friedliches, aber kritisches und verlässliches Plateau für Zerstrittene zu dienen - und sie im besten Fall wieder zusammenzuführen. JEDER Krieg endet im Dialog und am Verhandlungstisch. Da konnte und kann die Schweiz einiges dazu beitragen.
Ich habe mich natürlich gefragt, wieso wir jetzt plötzlich von diesem Weg abzukommen scheinen. Sind es wirtschaftliche Interessen einzelner Verbände? Übermütige Wohlstandskapriolen? Ist es die Angst des Kleinen, umgeben von selbstbewussten Raubtierstaaten? Mediale Feindbild- und Weltuntergangs-Übertreibungen oder nur undurchdachte Fehleinschätzungen? Was immer es ist, wir sollten ruhig bei uns bleiben und weiterhin das tun, was uns so erfolgreich gemacht hat. Der stille, pragmatische Weg zahlt sich meistens aus, und nicht alles Beständige muss in unruhigen Zeiten verdampfen.
Je mehr ich in der weiten Welt unterwegs bin, desto mehr schätze ich diese einmalige, superbodenständige Schweiz, wo vieles noch funktioniert. Tragen wir Sorge dazu, und besinnen wir uns ohne Selbstverzwergung auf unsere bewährten Trümpfe, Stärken und Freiheiten. Es lohnt sich.
Chris von Rohr in der SI vom 21. März 2025 Publiziert am 17. April 2025
1 Kommentar bisher
Wahre und weise Worte aus der Feder eines Urgesteins (ich würde mal sagen, Granit), der Schweizer Pop- und Rock-Kultur! Mach weiter so, Chris! Ich freue mich jetzt schon auf deine nächste Kolumne.