Das Kunstmuseum Luzern knüpft mit der - noch bis Sonntag, 2. November dauernden Ausstellung an den legendären Erfolg von 1935 an. Die damalige Eröffnungsschau war ein klares Statement gegen die neue Kunstauffassung im nationalsozialistischen Deutschland. Ein Grossteil der damals gezeigten Werke ist unter dem Titel "Kandinsky, Picasso, Miró et al. zurück in Luzern" zu sehen.
Während der Weltwirtschaftskrise, mitten in einem immer totalitärer werdenden Europa, wurden 1935 in Luzern Werke der Moderne gezeigt. Unter dem sperrigen Titel These, Antithese, Synthese versuchten drei Ausstellungsmacher nichts weniger, als die verschiedenen Strömungen der Avantgarde zusammenzuführen - zu einer neuen abstrakten, doch nicht elitären Kunst für alle!
Verantwortlich für dieses fantastische Projekt waren der Museumskonservator Paul Hilber, der Kunstkritiker Konrad Farner und der junge Künstler Hans Erni. Das Konzept der Ausstellung erinnert stark an die ideologischen Bestrebungen des frühen 20. Jahrhunderts, einen neuen, besseren Menschen zu schaffen. Das eben erst eröffnete modernistische Kunstmuseum Luzern bot den perfekten Kontext für die Kunst der Avantgarde. Die meisten Werke kamen 1935 direkt aus den Ateliers, heute hängen sie weltweit in den renommiertesten Museen. Manche sind zerstört, andere verschollen.
Mit der Rekonstruktion dieser legendären Ausstellung fragen wir: Welche Umstände führten zu dieser exzellenten Schau? Wieso wurde diese Kunst ausgerechnet in Luzern gezeigt? Wer wählte die Künstler aus und weshalb fehlten die Künstlerinnen? Welche Resonanz erzeugte diese Kunst? Und was ist von dem Versprechen der Moderne auf ein besseres Leben für alle geblieben? Die Rekonstruktion von These, Antithese, Synthese ist eine kritische Würdigung der Moderne - aus der Überzeugung heraus, dass die Gegenwart nur aktiv mitgestalten kann, wer die historischen Zusammenhänge versteht.
Juan Gris: Compotier, Pipe et Journal, 1917, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Basel
Pablo Picasso: Mandoline, Fruchtschale und Gipsarm, 1925, Öl auf Leinwand, The Metropolitan Museum of Art, New York
Pablo Picasso: La Bouteille de Bass, 1912-1914, Öl auf Leinwand, Museo del Novecento - Collezione Jucker, Milano
Wolfgang Paalen: Avertissment I, 1934, Öl und Tempera auf Leinwand, Privatbesitz
Giorgio de Chirico: Gladiatori, 1928, Öl auf Leinwand, Sammlung Nahmad
Fernand Léger: La Liseuse, Mère et Enfant, 1922, Öl auf Leinwand, Privatsammlung, Schweiz
Fernand Léger: Composition Nr.2, 1925, Öl auf Leinwand, Privatsammlung, Schweiz
Paul Klee: Plan einer Garten-architektur, 1920, Öl, Aquarell und Kreide auf Leinwand und Karton, Zentrum Paul Klee, Bern
Wassily Kandinsky: Weisser Punkt (Komposition 248), 1923, Öl auf Leinwand, Hamburger Kunsthalle
Ben Nicholson: 1934 (Painted Relief), 1934, Öl auf Verbundplatte, University of Hertfordshire Art Collection
Hans Erni: Kompositionen C und D, 1934, Öl auf Leinwand, Hans Erni-Stiftung, Luzern
Sophie Taeuber-Arp: Équilibre, 1932, Öl auf Leinwand, Louisiana Museum of Modern Art (links)
Komposition mit Rechtecken und Kreisen, 1930, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Basel (mitte)
Komposition mit 5 Kreisen, Quadrat und Rechteck, 1931, Öl auf Leinwand, Privatsammlung, Schweiz
Jean Hélion: Composition, 1934, Öl auf Leinwand, Mouradian Collection
Georges Braque: Le Journal (Guéridon), um 1913, Öl auf Holz, Kunstmuseum Solothurn, Josef-Müller-Stiftung
Luzern, 30. Oktober 2025, Fotos: Robert Bolli
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Eine Ode an die Literatur
Wenn alles flimmert, erinnert die Schaffhauser Buchwoche (3. bis 16. November) daran, wie wohltuend Lesen sein kann - ein Gegenpol zur Dauerunterhaltung, der Sprache, Stille und Nachdenken Raum gibt. Eine Welt ohne Literatur ist unvorstellbar - davon bin ich überzeugt. Nur, wer heute behauptet, Literatur sei unverzichtbar, wirkt wie jemand, der in einer grell erleuchteten Welt trotzig eine Kerze anzündet.
Wir leben in einer Ära der permanenten Unterhaltung, in der Langeweile als Makel gilt und Stille als Defekt. Auf der Rolltreppe des Alltags bleibt kaum jemand stehen, um eine Seite umzublättern. Netflix, TikTok und Co. sind die neuen Erzähler unserer Zeit - flüchtig, visuell, sofort verfügbar.
Literatur verlangt das Gegenteil, nämlich Geduld und Dialog. Nach einem langen Tag greifen nur wenige zum Buch, der Bildschirm lockt mit schneller Belohnung. Doch Lesen fordert uns: Denken, Vorstellungskraft, Empathie. Ein Buch ist kein Konsumprodukt, sondern ein Gespräch, das verwandelt. Der Algorithmus zeigt uns nur, was wir schon mögen. Literatur zeigt uns, was wir nicht kennen - das Unbekannte, das Abenteuer, das kein Streamingdienst vorschlägt.
Ohne sie verarmt die Sprache, verkümmert das Denken, erlischt die Neugier. Literatur ist die letzte Bastion der Langsamkeit in einer Kultur, die Geschwindigkeit mit Tiefe verwechselt. Sie hält uns den Spiegel hin - nicht, um zu schmeicheln, sondern um zu zeigen, wer wir sind und wer wir sein könnten. Ohne Literatur würden wir uns auf ganz dünnem Eis bewegen. Und wem dann die Stunde schlägt, muss man nicht erklären.
Text: Jurga Wüger (in den SN vom 19. Oktober 2025)
Foto: André Kertész; "Die Lektüre"; um 1930
Publiziert am 20. Oktober 2025
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Zum Ausklang des Sonntagabends: "Das Wort der Weisheit"
Also, ich bin kein Experte,
aber nachdem ich diesen Beitrag von Anfang bis Ende analysiert, alle Aspekte und Möglichkeiten berücksichtigt, basierend auf meiner intellektuellen Kapazität und meinem umfangreichen Wissen von Anfang an taktisch und vorsichtig geprüft habe, insbesondere im Lichte der geistigen Evolution, bin ich zu einem konkreten, eindeutig und fundierten Ergebnis gekommen: dass ich nichts sagen kann, weil ich, wie anfangs erwähnt, kein Experte bin.
Idee: Manuel Bolli
Publiziert am 12. Oktober 2025
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Einsiedeln: Das Panorama "Jerusalem und die Kreuzigung Christi"
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gab es weltweit ein grosses Interesse, nationale Themen, vor allem Schlachten, als Panoramen zu gestalten. In der Hoffnung auf Gewinne aus den Einnahmen an Eintrittsgeldern finanzierten eigens gegründete Aktiengesellschaften Gebäude und die Produktion der bis zu 15 Metern hohen und im Umfangbis zu 120 Metern messenden kolossalen Rundgemälde. Viele Grossstädte besassen am Ende des 19. Jahrhunderts mindestens ein Panoramagebäude, in dem wechselnd und im Austausch neue Panoramabilder gezeigt wurden. Die Idee, die historische Begebenheit der Kreuzigung Christi in einem Panorama darzustellen, entstand in dieser Zeit.
Für ein Panorama mit religiöser Thematik boten sich vor allem Wallfahrtsorte an. Ein erstes Panorama mit der Darstellung der Kreuzigung Christi, gemalt von dem belgischen Künstler Juliaan de Vriendt (1842-1935), war 1884 im belgischen Wallfahrtsort Montaigu zu sehen. Ein Jahr später beauftragte eine Münchner Panoramagesellschaft den renommierten deutschen Maler Bruno Piglhein (1848-1894) mit einem Panorama desselben Themas. Wie schon de Vriendt reiste auch Piglhein zu Studienzwecken für die Schaffung seines Panoramagemäldes nach Jerusalem, begleitet von Karl Hubert Frosch, der für den architektonischen Teil des Gemäldes zuständig war, sowie von Joseph Krieger, der den landschaftlichen Teil ausführte. Piglhein selbst oblag die Gesamtkonzeption und der figürliche Teil. Nach einem Aufenthalt von sechs Monaten in Palästina und einer Ausführungszeit von neun Monaten für die Malarbeiten war das 120 Meter lange und 15 Meter hohe Gemälde vollendet. Von Juni 1886 bis März 1889 wurde es mit großem Erfolg in München ausgestellt. Von Frühjahr 1889 bis Ende 1891 war es in Berlin zu sehen und ab März 1892 in Wien, wo es knapp einen Monat später unglücklicherweise einem Brand zum Opfer fiel.
Piglheins viel bewundertes Panorama Kreuzigung Christi wurde zum unmittelbaren Vorbild zahlreicher Panoramen weltweit. In Europa entstanden vor allem in Deutschland bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts mehrere Panoramen religiöser Thematik. Insgesamt haben sich weltweit drei Rundgemälde mit dem Thema Jerusalem und die Kreuzigung Christi erhalten: im Wallfahrtsort Ste. Anne de Beaupré bei Québec in Kanada, im oberbayerischen Wallfahrtsort Altötting in Deutschland und im Wallfahrtsort Einsiedeln in der Schweiz.
Die beiden panoramaerfahrenen Künstler Karl Hubert Frosch (1846-1931) und Joseph Krieger (1848-1914) hatten sich in den 1890er Jahren auf Panoramen religiöser Thematik spezialisiert. Gemalt wurde das 10 Meter hohe und 100 Meter lange Riesenrundgemälde in sechs Monaten im Panorama-Gebäude an der Theresienhöhe 2a, einem der damals drei Ausstellungsgebäude für Panoramen in München. Frosch und Krieger waren, wie schon beim Panorama Piglheins, für den architektonischen bzw. den landschaftlichen Teil des Gemäldes zuständig. Für den figürlichen Teil zog man den amerikanischen Künstler William Robinson Leigh (1865-1955) hinzu, der zu dieser Zeit in München tätig war und auch an anderen Panoramen mitwirkte. Vor seinem Transport nach Einsiedeln war das fertige Panorama für einige Wochen im Münchner Panorama-Gebäude an der Theresienhöhe 2a öffentlich ausgestellt. Am 1. Juli 1893 wurde das Panorama Kreuzigung Christi in Einsiedeln in einem eigens errichteten Gebäude, einem zwölfeckigen Zentralbau von 33 Metern Durchmesser, feierlich eröffnet. Es entwickelte sich schnell zu einer gut besuchten Sehenswürdigkeit des Wallfahrtsortes.
Das zweite Leben des Panoramas Kreuzigung Christi in Einsiedeln
Auf tragische Weise ging das erste Leben des Panoramas in Einsiedeln am 17. März 1960 zu Ende, als bei Renovierungsarbeiten an Fassade und Innenräumen Feuer ausbrach und Gebäude und Gemälde vollständig niederbrannten. Das zweite Leben des Panoramas begann noch im selben Jahr, als man sich zu einem Neubau und zu einer Neugestaltung des Bildes nach vorhandenen Farbaufnahmen entschloss. Zunächst wurde ein neues Panorama-Gebäude gebaut. Die alte Holzkonstruktion wurde durch ein feuersicheres Gebäude aus Stahlträgern und Leca-Betonelementen ersetzt. Für die Neugestaltung des Bildes konnten über einen Wettbewerb die Wiener Künstler Prof. Hans Wulz (1909-1985) und Prof. Josef Fastl (1929-2008) gewonnen werden. Nicht eine genaue Kopie oder Reproduktion des alten Bildes war das Ziel. Das neue Bild sollte in malerisch-künstlerischer Hinsicht eine zeitgemäß moderne Auffassung zeigen. Es entstand 1961/62 innerhalb eines halben Jahres, in gleicher Größe und in allen Details der Komposition dem Vorbild folgend, allerdings in einer freieren Malweise, die sich von der detaillierten realistischen des ursprünglichen Bildes unterscheidet. „Bei Betrachtung unmittelbar an der Leinwand erkennt das erstaunte Auge, wie sich alle Gegenstände in buntesten Flecken und grossen Strichen auflösen. Frisch, jugendlich, spontan und lebendig, mit höchst intensiv leuchtender Farbigkeit zeigt sich das neue Kunstwerk“ (Prof. Huggler bei der Eröffnungsansprache). Das nach dem Vorbild des zerstörten Panoramas neu geschaffene plastische Faux Terrain wurde von Hans Städeli in Zusammenarbeit mit Bühnenbildnern des Berner Stadttheaters erstellt. Die Wiedereröffnung fand am 14. April 1962 statt.
In der Mitte zwischen zwei Mördern, die Sonne verfinstert sich am Kalvarienberg. Links und rechts vom Kreuze Jesu sind die Schächer Dismas und Gesmas gekreuzigt. Unten am Kreuze kniend Maria Magdalena, rechts daneben Maria, die Mutter Jesu, hinter ihr Johannes. In dieser Gruppe dargestellt sind auch Lazarus von Bethanien mit seiner Schwester Martha, Simon von Cyrene, der Jesus das Kreuz nach Kalvaria tragen half, Veronika mit dem Schweisstuch in der Hand, Nikodemus und Joseph von Arimathäa.
Links der 3 Kreuze sitzt eine Gruppe von Soldaten, die das Kreuz bewachen und über die Kleider Jesu das Los werfen. Rechts vor dem Kreuz Jesu steht der Hauptmann mit rotem Mantel, links daneben ein Soldat, Longinus, eine Lanze in der Hand und im Begriff, die Seite Jesu zu öffnen. Weiter links der Soldatengruppe ist verschiedenes Volk versammelt, Arme, Kranke, Aussätzige, die auf den Hohepriester Kaiphas einreden. Am Bildrand gestikulieren die Gruppe der Schriftgelehrten.
Der Königspalast von Herodes mit den drei Türmen Mariamne, Phasael und Hippikus. Davor eine Kamelkarawane und der Patriarchenteich, ein Wasserspeicher .
Ein Zeltlager mit zwei Olivenbäumen und Landvolk. In der linken Bildmitte die Jeremiasgrotte.
Schaulustige versammeln sich vor der Stadtmauer. Links die Burg Antonia mit ihren vier Türmen. Rechts der 52 Meter hohe Herodianische Tempel aus weissen Marmorquadern aufgebaut, anschliessend die Halle Salomos. Im Hintergrund das Tal Josaphat, die Strasse nach Betphage und der Berg Moria.
Das Grab Christi mit einer Wasserträgerin, die vom Landhaus herunter kommt.
In der Bildmitte ein Reiter, der das Volk zurückhält.
Eine Menge Schaulustiger strömt aus dem Damaskustor. Dahinter die Burg Antonia mit vier Türmen, Palast und Festung zugleich, die Residenz des römischen Präfekts Pontius Pilatus, im Hintergrund der Garten Gethsemane. Der Kreuzweg Jesu führt von der Burg Antonia - wo Jesus verhört, verurteilt, gegeisselt und mit einer Dornenkrone gekrönt wurde - durch die Strassen Jerusalems zum Richttor und zum 800 Meter entfernten Kalvarienberg. Dieser lag zurzeit Jesu noch ausserhalb der Stadt.
Publiziert am 12. Oktober 2025
Fotos: Robert Bolli, Text (verkürzt): Panorama Gesellschaft, Einsiedeln
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Duncan Grant's Partner
Duncan Grant (1885 - 1978): "Paul Roche"; Öl auf Leinwand; 1953
"Paul Roche - schlafend"; Öl auf Leinwand; 1967; 57 x 71 cm